Die Dampfnudelquetsche
Eine phantastische Erzählung
von
Günther Kurt Lietz
Bei der Dampfnudelquetsche handelte es sich um das uneheliche Kind einer frivolen Dampfnudel und einer armen Quetsche, die sich von der heißen Dampfnudel einfach so umgarnen ließ, als diese mit dem Zwirn Schluss machte. Natürlich kamen die Nachbarn ins Tratschen ob der Dampfnudelquetsche und der Vaterschaft der Quetsche, denn vielleicht wollte die Dampfnudel der Quetsche die Dampfnudelquetsche ja nur unterschieben. Aber das waren nur Gerüchte aus der Nachbarschaft, die der Quetsche vollkommen egal waren, denn sie liebte die Dampfnudelquetsche innig. Und jeden Samstag Abend, nach dem Abendessen, schnitt die Quetsche der Dampfnudelquetsche das widerspenstige Stück Faden ab, das auf der Stirn der Dampfnudelquetsche schneller spross, als die Quetsche zur Dampfnudel Dampfnudelquetsche sagen konnte. Und die Dampfnudel, die ging derweil mit dem Zwirn aus. Aber das war der Quetsche egal.
Die Dampfnudelquetsche liebte die Quetsche ebenfalls innig. Und so war es ein grausiger Tag für die Dampfnudelquetsche als die Dampfnudel im Begleitung vom Zwirn erschien und erzählte, die Quetsche hätte auf der Arbeit einen tödlichen Unfall gehabt. Während die Quetsche die Zwetschgen für den Kuchen quetschte, rutschte die Quetsche auf einer Zwetschge aus und fiel in den Eimer, wo die Quetsche von den Massen an Zwetschgen zerquetscht wurde. Es war ein trauriger Anblick, erzählte die Dampfnudel der Dampfnudelquetsche, drückte ihr die Schlappen von der Quetsche in die Hand und wünschte ihr ein schönes Leben. Und dann stand die Dampfnudelquetsche auf der Straße. Im Herbst. Mitten im Regen. Bei Sturm. Und es war lausig kalt. Und die Quetsche war tot. War das alles traurig.
Doch die Dampfnudelquetsche wäre keine Dampfnudelquetsche, hätte sie nicht keinen Plan gehabt. Also saß sie an der Bushaltestelle. Im Herbst. Mitten im Regen. Bei Sturm. Und es war lausig kalt. Und die Quetsche war tot. Und kein Bus kam. Denn es war Sonntag. Da fuhr kein Bus. War das traurig.
Die Dampfnudelquetsche hatte aber keine Lust auf Traurigkeit. Sie beschloss fröhlich zu sein. Da fuhr ein rotes Auto vor der einsamen Bushaltestelle durch eine tiefe Pfütze und spritzte der nicht mehr traurigen Dampfnudelquetsche schlammiges Wasser ins Gesicht. Im späten Herbst. Mitten im dichten Regen. Bei heftigem Sturm. Und es war noch immer lausig kalt. Und die Quetsche war tot. Und kein doofer Bus kam. Denn es war Sonntag. Da fuhr nämlich kein Bus. Und die Dampfnudelquetsche war nass. Von oben bis unten. Und dann kam noch ein Auto. So ein Mist!
Die Dampfnudelquetsche suchte sich erst einmal ein trockenes Plätzchen und setzte sich zu ihm an den Tisch. In der Bäckerei. Heute gab es Zwetschgenkuchen. „Hallo.“, grüßte die Dampfnudelquetsche das trockene Plätzchen und das trockene Plätzchen krümelte ein wenig zur Begrüßung zurück. „Ist hier noch ein Plätzchen frei?“
„Nein.“, meinte das trockene Plätzchen und rückte ein Stück zur Seite. „Aber für eine Dampfnudelquetsche wird es schon reichen.“ Das trockene Plätzchen war sehr nett und hatte eine Hose aus Schokolade an. „Warum bist du denn so nass und siehst so traurig aus?“ fragte das trockene Plätzchen und bestellte für die Dampfnudelquetsche einen Zwetschgenkuchen und für sich einen großen Kaffee. Das trockene Plätzchen war nämlich verdammt traurig und hatte beschlossen ein Ende zu machen.
„Meine Quetsche ist gestorben und die Dampfnudel hat mich aus dem Haus geworfen. Und der Zwirn ist jetzt bei der Dampfnudel und ich habe nur die Schlappen von der Quetsche.“ Die Dampfnudelquetsche versuchte tapfer und fröhlich zu sein, aber sie war trotzdem traurig. Deswegen war ein Mundwinkel nach unten und ein Mundwinkel nach oben verzogen. Die Dampfnudelquetsche sah deswegen aus wie – na ja, nun – wie eine Dampfnudelquetsche die einen Mundwinkel nach unten und einen Mundwinkel nach oben verzogen hat.
Die Bedienung kam an den Tisch und brachte die große Tasse mit Kaffee für das trockene Plätzchen und einen großen Zwetschgenkuchen für die Dampfnudelquetsche. Das trockene Plätzchen lehnte sich über den Rand der Tasse und patschte in den Kaffee hinein. „Das klingt aber traurig.“, bekundete es.
„Alles erinnert mich an die Quetsche.“, sagte die Dampfnudelquetsche und zeigte auf den Zwetschgenkuchen, auf dem ein Stück der zerquetschten Quetsche lag. „Sogar der Zwetschgenkuchen.“
„Das kann ich verstehen.“ Das feuchte Plätzchen nickte voller Anteilnahme. „Und was hast du jetzt vor?“
Die Dampfnudelquetche dachte darüber nach. Und hatte keine Idee. „Ich vertraue einfach auf mein Glück. In allen Geschichten findet der Zuversichtliche sein Glück.“
Das nasse Plätzchen nickte träge. Ein Stück von ihm fiel in den Kaffee. „Der Dumme aber auch. Da kannst du ja hoffen.“
Die Dampfnudelquetsche lächelte hoffnungsvoll. „Das stimmt. Bitte, lasse uns beste Freunde sein.“
Mit einem kurzen Nicken plumpste das nasse Plätzchen vollständig in die große Tasse. Es zog drei verzweifelte Kreise im Kaffee, dann löste sich zuerst die Schokoladenhose und anschließend das Plätzchen auf. Die Dampfnudelquetsche sah dabei ratlos zu. Dann aß es den Kuchen auf, trank die Tasse Kaffee aus, bedankte sich artig bei der Bedienung für den leckeren Kuchen und den leckeren Kaffee, und ging zurück zur Bushaltestelle. Hier saß die Dampfnudelquetsche also nun an der Bushaltestelle. Im Herbst. Mitten im Regen. Bei Sturm. Und es war lausig kalt. Und die Quetsche war tot. Und das trockene Plätzchen auch. Und kein Bus kam. Denn es war Sonntag. Da fuhr kein Bus. Das war sehr traurig.
ENDE
Copyright (c) 2011 by Günther Kurt Lietz