
Nach einer grandiosen und aufwühlenden Staffel 2, wird es in der dritten Staffel von “Victoria” zwar familiärer, es bleibt aber auch hochdramatisch. Einige der Ereignisse haben mich, ebenso wie in der vorangegangenen Staffel, ziemlich mitgenommen und es brauchte stellenweise sogar eine kleine Pause, um die ein oder andere Träne zu verdrücken. Das liegt vor allem an einigen glaubhaften und charmanten Figuren, die einem doch recht ans Herz wachsen.
Historisch gesehen spielt die dritte Staffel in einer Zeit, in der sich die Arbeiter erheben und für ihre Rechte eintreten, während die Monarchen nun um ihr Leben bangen. Viele von ihnen fliehen und schon bald klopfen Victorias blaublütige Verwandte an die Tore des Palastes. Zum einen Louis Phillipe, ehemaliger König Frankreichs, und auch Victorias Schwester Fedora, die das unsichere Deutschland vorsichtshalber verlässt. Aber auch auf dem politischen Parkett gibt es einige neue Gesichter zu sehen, wie den ungebührlichen Außenminister Lord Palmerston, dem der neue Premier nichts entgegenzusetzen weiß.
War Victorias Verhältnis zu Albert in den letzten Jahren recht ungetrübt, so ist die Kinderschar nicht nur stattlich angewachsen, sondern kommt es zwischen den königlichen Eheleuten zum Zwist, der von Prinzessin Feodora fleißig angestachelt wird. Aber auch im weitläufigen Umfeld der Königin geschehen dramatische Ereignisse, die sie mitnehmen. Und im eigenen Land scheint der Unmut zu wachsen, so dass Königin Victoria sogar für einige Zeit London verlässt.
Es geschieht also recht viel in den acht Episoden der dritten Staffel. Vieles davon ist historisch gesehen gesichert, einiges wurde passend zurecht gemodelt, anderes ist reine Fiktion. Aber alles ist dermaßen gelungen miteinander verwoben,dass es schwer fällt zu erkennen, wo sich die Grenzen befinden. Das gelingt Drehbuchautorin Daisy Goodwin deswegen so gut, weil sie sich die Tagebücher Königin Victorias vorgenommen hat. Und da die Queen dahingehend sehr fleißig war – auch mit persönlichen Anmerkungen – wirkt alles so authentisch und in der Geschichte fest verwurzelt. Dennoch, die Serie ist keine Geschichtsdokumentation, sondern fiktionale Unterhaltung. Und zwar vom Feinsten.
An den Glanz der vorangegangenen Staffel kommt die dritte Staffel leider nicht so ganz heran. Dafür wirkt vor allem der Streit zwischen den Eheleuten zu konstruiert und auch das Verhältnis zwischen Victoria und Feodora ist unglaublich (und historisch übrigens nicht haltbar) gestört. Dabei überzeichnet Kate Fleetwood ihre Darstellung der intriganten Prinzessin gelegentlich dermaßen, dass es an ein Schmierentheater grenzt. Das gilt vor allem für diesen einen finsteren Blick, den sie aus der Kutsche wirft. Wer die Szene sieht, wird sie automatisch erkennen. Zudem wird die bisherige Zofe Skerret ersetzt und an ihre Stelle tritt die Irin Abigail Turner. Es mag der britischen political correctness geschuldet sein diese Rolle mit Sabrina Bartlett besetzt zu haben. Aber in einem historischen Fernsehdrama wünsche ich mir eine historisch korrekte oder zumindest typgerechte Besetzung. Es in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Skerret-Turner-Zofensache reine Fiktion ist.
Trotz der kleinen Nickligkeiten, macht “Victoria” aber erneut großen Spaß. Das liegt an den spielfreudigen Schauspielern, eingebaute historische Ereignisse, die fulminante Ausstattung und die wunderbaren Figuren. Vor allem Laurence Fox als Lord Palmerston ist großartig. Im Zusammenspiel mit der wunderbaren Jenna Coleman als Königin Victoria, kommt stets Freude auf. Tom Hughes als Albert wirkt dagegen sehr oft einfach nur nervig (solange es um die Streitigkeiten geht). Aber vielleicht habe ich diesen Eindruck auch nur gewonnen, weil ich pro Victoria bin. Nach hinten raus gewinnt Albert aber wieder an Charme und spätestens im großen Finale hat er wieder seinen Ehrenplatz im Herzen eingenommen.
Auch wenn es zu der ein oder anderen rasanten Szene kommt, ist und bleibt die Serie im Grundtenor ziemlich ruhig. Etliche der Dramen werden, um die Historie nicht ständig und überall zu biegen, gerne einmal auf das Personal ausgedehnt. So ergeben sich, wie bei solchen Serien üblich, zwei unterschiedliche Handlungsebenen, die jeweils einen anderen Aspekt des täglichen Lebens abdecken und dabei gelegentliche Berührungspunkte bieten. Wer bei einer guten Tasse also einfach nur abschalten mag, der ist mit “Victoria” gut bedient. Zudem geht die dritte Staffel näher auf Victorias Familienleben und ihre Kinder ein, zeigt sich das Verhältnis der Eltern zum Nachwuchs und auch, wie sich das Bild der Königsfamilie im normalen Leben der Bürgerlichen wandelt. So sind hier bereits die Anfänge von Dingen zu beobachten, die später einmal – zu Zeiten von Königin Elisabeth II. – uns nur allzu vertraut sind. Einfach nur toll! Dadurch wird jede einzelne der Episoden, trotz dem fiktionalen Anteil, zu einer kleinen Zeitreise ins viktorianische Zeitalter.
Die Synchronisation der Staffel ist übrigens erneut sehr gelungen und macht große Freude. Jedoch, wer ein gutes Englisch spricht, der sollte eindeutig die Originaltonspur nutzen und sich an dem tollen Englisch und den Akzenten erfreuen, die Bild und Ton noch lebendiger werden lassen. Allerdings fällt dann auf, dass der ein oder andere deutsche Satz (jawohl, das kommt vor) wiederum von keinem Muttersprachler stammt. Sprachlich ist aber vor allem Colemans leicht snobistisch klingendes Englisch einfach bezaubernd; vor allem, wenn man an sich nur amerikanisches Englisch gewöhnt ist. Das Original hat einfach diesen tollen akzentuierten Klang.
Bild und Ton der Blu-ray-Fassung sind einfach wunderbar. Vor allem die Kostüme kommen dabei sehr gut zur Geltung. Für Fans der Serie ist auch das Bonusmaterial interessant, das sich aus Interviews mit Stab und Besetzung zusammensetzt. Letztere sitzt gerne einmal im Kostüm im Set, was einfach schick aussieht. Der lockere Ton der Interviews bringt die Schauspieler zudem etwas näher, die allesamt einen sehr positiven und sympathischen Eindruck machen. Eine tolle Zugabe.
Abschließend kann nur eine klare Empfehlung zur dritten Staffel ausgesprochen werden. Wer diese Art von Serien mag, wird “Victoria” sicherlich ins Herz schließen. Und das hat die Königin durchaus verdient.
Copyright © 2020 by Günther Lietz
Victoria Staffel 3 (Blu-ray): Deluxe Edition
Originaltitel:Victoria
Produktion: Vereinigtes Königreich (seit 2016)
Produktionsunternehmen: ITV, Mammoth Screen
Produktion: Daisy Goodwin
Musik: Ruth Barrett, Martin Phipps
Darsteller: Jenna Coleman (Victoria), Tom Hughes (Albert), Kate Fleetwood, (Princess Feodora), Laurence Fox (Lord Palmerston), John Sessions (Lord John Russell), Louisa Bay (Princess Vicky), Laurie Shepherd (Prince Bertie), Nell Hudson (Zofe Eliza Skerret), Ferdinand Kingsley (Charles Elmé Francatelli)
BD-Deluxe-Edition: 2 BDs inkl. 122 Minuten Bonusmaterial
Umfang: 8 Episoden, ca. 47 Minuten pro Episode
VÖ BDs: 31. Januar 2020, Edel Motion