Von der Logik eines Telefonats
Eine Kurzgeschichte von
Günther Kurt Lietz
Eine Rechnung flattert ins Haus. Man liest sie und bemerkt nebenbei, dass sie falsch ist. Doch der umsichtige Absender vermerkte seine Anschrift, die Kundennummer und die Durchwahl. Also greift man zum Telefonhörer und macht sich daran, das Problem zu lösen.
Es klingelt durch. Einmal, zweimal, mehrmals, vielmals und keiner geht ran. Also ein zweiter Versuch wenige Minuten später. Und man hat Erfolg. Eine nette Dame flötet mit freundlicher Stimme ins Ohr: „Der Herr Sachbearbeiter ist nicht da. Er ruft sie gleich zurück. Danke für ihr Verständnis. Wiederhören.“
Man wartet, den Blick aufs Telefon geheftet und das Schreiben vor sich auf dem Tisch liegend. Langsam drückt die Blase und fordert ihr Recht. Aber wenn der Mann ausgerechnet jetzt anruft? Schweiß bricht aus. Soll ich gehen? Bin ich schnell genug? Vielleicht klingelt es gerade wenn ich die Hose runterlasse. Man wartet, hält ein, wird vom eigenen Körper gepeinigt und geht schließlich doch auf Klo, immer ein Ohr zum Telefon hin. Und … es klingelt nicht!
Nach dem Toilettengang wartet man also weiter. Und wartet, kocht das Mittagessen, wartet, kümmert sich um die Hausaufgaben der lieben Kleinen, wartet, liest einige Seiten eines guten Buches, wartet und – es klingelt. Also geht man ran, leicht erbost über das Warten. Doch es ist nur die Oma und sie will hören was es Neues gibt. „Ich warte!“ kommt es schon laut über die Lippen und der Hörer liegt auf der Gabel. Und man wartet weiter.
Bis es dann klingelt und der Sachbearbeiter sich bequemte doch anzurufen. Ich gebe ihm Namen, Adresse und Kundennummer. Er sucht im Computer und fragt dann: „Sind sie es wirklich?“
„Was? Genervt?“ will man unwirsch fragen, doch ist man lieber höflich und lächelt, obwohl der gute Mann das Lächeln nicht sieht. „Natürlich.“, erkläre ich und frage mich, wer sonst wegen meiner unbezahlten Rechnung anrufen sollte.
„Hm, nun, dann sehen wir mal nach.“, murmelt der Mann vor sich hin und ich höre Tasten anschlagen. Er macht seine Arbeit und gleich wird sich alles auflösen. „Sie haben die letzten zwei Anträge zu spät abgegeben. Da mussten wir also höhere Beiträge anrechnen.“
Klingt vernünftig. Ist aber falsch. „Hier im Schrieb steht sechzig Euro für zwei Monate. Wegen zu spät abgegeben? Ich war pünktlich.“
„Moment.“, kommt es vom anderen Ende und ich muss warten. Aber darin habe ich langsam Übung. Ich glaube allerdings, der Mann glaubt mir nicht, dass ich glaubwürdig bin. Und dann ist er schon wieder da. „Hallo? Sind sie noch dran? Ich habe mir die Unterlagen gezogen. Sie haben zu spät abgegeben.“
„Das kann nicht sein.“, erwidere ich nun etwas unwirsch und bereue meinen Ton sofort. Es ist vielleicht unklug so mit ihm zu reden. Immerhin will ich etwas von ihm. Papier raschelt und siehe da – ich habe Erfolg.
„Tatsächlich. Ich habe eine drei für eine acht gehalten. Sie waren pünktlich.“ Na Gott sei Dank. „Aber mit nur einem der drei Anträge.“ Und schon nehme ich meinen Dank wieder zurück.
Es kommt zu einem kurzen Wortwechsel und ich sehe ein, der Mann kann nicht gut gucken. Also lass ich mich breitschlagen und akzeptiere für einen Monat Verspätung. Ich will ja nicht kleinlich sein, wegen dreißig Euro für einen Monat. Ich bin doch kein Erbsenzähler.
„Hören sie, ich habe die Beiträge gerade neu berechnet.“ Gut, wenigstens kann er Kopfrechnen. „Das macht dann dreihundert Euro.“ Oder auch nicht. Oder er hat eine Null zu viel hinten angehangen.
„Bitte?“ frage ich langgezogen. „Dreihundert? Das muss ein Fehler sein.“
Und er rechnet wieder und ich warte wieder. „Sie haben recht. Entschuldigung.“ Nun, lieber ein spätes Einsehen als gar kein Einsehen. „Es sind nur hundert Euro.“
Da hätte er auch einen Hundertwasser verlangen können. „Bitte? In ihrem Schreiben steht zwei Monate zusammen für sechzig Euro.“ Langsam meldet sich die Blase wieder zu Wort. Sehr ungünstig für mich. Der Druck wächst, auf beiden Seiten, am Ohr und in der Blase. „Wie kommen sie denn auf hundert Euro?“
„Das ist nun einmal so. Außerdem habe ich ihnen gar kein Schreiben geschickt, worin steht, zwei Monate und sechzig Euro.“, merkt er unhöflich an.
„Aber ich habe das Schreiben vor mir liegen. Schwarz auf Weiß.“
„Ich habe kein Schreiben geschickt.“, sagt er und bleibt hart. Der Mann ist strohdumm und stur. Eine gefährliche Kombination.
Ich beschließe erst einmal klein beizugeben, zu tun als wäre ich einverstanden und nach dem Gespräch meine Blase zu leeren. „Gut, dann schicken sie mir aber bitte eine neue Rechnung.“ Mit zwei Schreiben werde ich in einigen Tagen persönlich vorbeigehen und ihm die Papiere unter die Nase reiben. Ein schöner Plan, den ich da gerade fasse.
„Schön, dass sie das endlich einsehen, mein Herr. Ich schicke ihnen dann eine neue Rechnung zu. Die alte werfen sie ruhig weg.“
„Die Rechnung?“ frage ich, denn meine Frau wird er wohl kaum meinen.
„Das habe ich nicht gesagt. Ich habe ihnen keine Rechnung geschickt.“, erklärt er, müde vom Gespräch. Wahrscheinlich meint er doch die Frau.
„Na gut. Auf Wiederhören.“, verabschiede ich mich und renne zur Toilette.
Und das Ende vom Lied, die Moral der Geschichte, die Pointe des Witzes? Ich habe meine alte Rechnung noch immer, eine neue kam nie bei mir an und alles löste sich in Wohlgefallen auf. Unter dem Strich bleibt ein Dummkopf. Und das bin vielleicht ich, aber bestimmt der nette Mann am anderen Ende des Hörers.
Ende